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Jubiläumsartikel: Phaseolin: Vom Abwehrstoff zur Abspeckhilfe (2005)

Gelobt sei, was schlank macht! Täglich erinnern uns Ärzte und Medien daran, dass dicke Menschen eher sterben und häufiger krank sind als normalgewichtige. Man prophezeit auch für Europa bald amerikanische Verhältnisse – zwei von drei Erwachsenen zu fett – falls wir nicht endlich etwas unternehmen. Doch Abspecken oder auch nur die Ernährung umzustellen ist schwer und nur selten von Dauer. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund wundert es kaum, wenn im Internet eine schier unend­liche Fülle an Wundermitteln angeboten wird, die endlich zur Wunschfigur verhelfen sollen. Ein hier zu Lande noch recht unbekanntes Präparat ist das Phaseolin, ein Eiweiß aus der Bohne Phaseolus vulgaris.

Als Carb-Blocker, Kidneybohnen-Kapseln oder schlicht als Phaseolin wird der Extrakt aus weißen Bohnen angepriesen. Da es sich bei diesen Produkten rechtlich um Nahrungsergän­zungmittel handelt, dürfen sie frei verkauft werden. Sie sollen beim Abnehmen helfen, indem sie die Verwertung von Kohlenhydraten blockieren. Kohlenhydrate verzehren wir vor allem in Form von Zucker und Stärke, also beispielsweise als Gebäck, Brot, Limonaden, Süßwaren, Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Während lange Zeit die Fette beim Abspecken im Vordergrund standen – natürlich gibt es auch Fettblocker auf dem bunten Markt der Nahrungsergänzungen – stehen zurzeit vor allem die Kohlenhydrate in der Kritik. So genannte LowCarb-Diäten, also Diäten, bei denen nur wenig Kohlenhydrate gegessen werden sollen, sind populär und durchaus wirksam. Doch der Verzicht auf zucker- und stärkereiches Essen fällt manchem schwer. Vor allem dieser Zielgruppe wird das Phaseolin angedient.

„Wäre es nicht phantastisch, ganz normal weiter zu essen und trotzdem weniger Kohlenhydrate aufzunehmen?“, so eine Annonce im Internet. Mit dem „neuen, natürlichen Wirkstoff“ Phaseolin, den amerikanische Forscher erst kürzlich entdeckt hätten, gelänge dies. Ein Teil der verspeis­ten Zucker und Stärke werde einfach ungenutzt wieder ausgeschieden, was „neuen amerika­nischen Forschungsergebnissen zufolge“ einen wichtigen Beitrag zur figurbewußten Ernährung leiste. Dass man damit abnimmt, wird nicht explizit gesagt, weil das bei Nahrungsergänzungs­mitteln nicht erlaubt ist. Gleich neben dem Werbetext rekelt sich jedoch eine superschlanke Dame unter der Überschrift „Traumfigur schon erreicht?“.

Wirkweise

Phaseolin ist ein spezialisierter Enzym-Hemmer. Es behindert ganz gezielt das Stärke spaltende Enzym Alpha-Amylase bei der Arbeit. Normalerweise sorgt die Alpha-Amylase dafür, dass Stärke im Dünndarm (nicht im Magen wie fälschlicherweise oft behauptet wird) verdaut, also in ihre Bestandteile (Traubenzucker = Glukose) zerlegt wird. Wird die Arbeit des Enzyms durch Phaseolin blockiert, gelangt ein Teil der Stärke unverdaut in den Dickdarm.

Entgegen der Werbeaussagen kann Phaseolin nicht die Verwertung von Zucker verhindern. Außerdem verliert es bereits im Magen an Aktivität, weil Phaseolin ein Eiweiß ist und von der Magensäure teilweise inaktiviert wird. Zudem beginnt die Verdauung von Stärke bereits im Mund, wo das Phaseolin keine Wirkung entfalten kann. Es ist also keineswegs in der Lage, dem Körper viel Stärke vorzuenthalten. Schätzungen zufolge werden maximal 40 Gramm Stärke nicht verdaut, umgerechnet also höchstens 160 Kalorien. Große Gewichtsverluste sind schon allein deswegen nicht möglich.

Die Formulierungen solcher Annoncen gleichen sich – egal, welches Produkt gerade beworben wird. Meist handelt es sich um eine Mischung aus Halbwahrheiten, Übertreibungen, ungenauen Formulierungen und schlicht fehlerhaften Angaben. Im Falle des Phaseolins ist richtig, dass es sich um ein Eiweiß handelt, das die Verwertung bestimmter Kohlenhydrate im Körper bremst. Falsch ist dagegen, dass der Wirkstoff erst kürzlich entdeckt worden wäre. Phaseolin und andere Inhaltsstoffe von Hülsenfrüchten sind seit langem als pflanzliche Abwehrstoffe bekannt. Bereits in den frühen 80er Jahren untersuchte man deren Tauglichkeit als Diätmittel, allerdings erfolglos.

Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen

Mit Hilfe von Phaseolin und anderen Inhaltsstoffen wehren sich nicht nur Bohnen, Erbsen oder Linsen dagegen, gefressen zu werden: Diese Stoffe hemmen die Verdauungsenzyme ihrer Fraßfeinde. Dadurch werden die Hülsenfrüchte schwer verdaulich. Sie bereiten ihren Feinden Bauchgrimmen und „hoffen“ so, dass diese auf andere, bekömmlichere Nahrung umsteigen. Natürlich ist auch der Mensch aus Sicht einer Bohnenpflanze nichts anderes als ein Fraßfeind – noch dazu ein besonders perfider: Wir haben es im Lauf der Zeit gelernt, die Hülsenfrüche durch Kochen, Fermentieren oder Keimenlassen bekömmlicher zu machen.

Entgegen der Werbeaussagen, werden die unverdauten Kohlenhydrate nach der Einnahme von Enzymhemmern wie Phaseolin nicht einfach ungenutzt wieder ausgeschieden. Wird im Dünndarm das Stärke spaltende Enzym Alpha-Amylase durch Phaseolin gehemmt, gelangt ein Teil der Stärke unverdaut in den Dickdarm. Dort machen sich dann die Bakterien unserer Darmflora darüber her. Je nach Empfindlichkeit des Menschen und je nachdem, wieviel Stärke bakteriell zersetzt wird, entstehen dabei neben Zucker (!) erhebliche Mengen an Darmgasen. Das erklärt die unangenehmen Nebenwirkungen hoher Phaseolin-Dosen: Durchfälle und Blähungen. Vielleicht hätte man den Stoff lieber „Pupsolin“ nennen sollen?

Abnehmen mit Phaseolin?

Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass pflanzliche Abwehrstoffe tatsächlich „funktio­nieren“: So sank z.B. bei chronischer Gabe von Phaseolin der Appeit junger Ratten, sodass sie weniger fraßen und schlechter zunahmen als ihre Altersgenossen, die keinen Enzymhemmer bekommen hatten. Allerdings war die dafür nötige Dosis deutlich höher als die Mengen, die in Abnehmpillen angboten werden. Außerdem sind geringe Gewichtszunahmen bei Jungtieren kein Beleg für einen Abnehmerfolg bei erwachsenen Menschen, sondern eher ein Zeichen von Wachstumsstörungen.

Studien mit Menschen ergaben, dass Phaseolin den Blutzucker- und den Insulinspiegel nach dem Essen günstig beeinflussen kann. Allerdings gibt es keine Belege dafür, dass Menschen mit Hilfe von Phaseolin tatsächlich spürbar abgenommen hätten. Wer sich in den zahlreichen Foren im Internet umschaut, findet ebenfalls überwiegend enttäuschte Kunden. Sie haben den Pups-Stoff aus der Bohne schon allein wegen der „anrüchigen“ Nebenwirkungen wieder abgesetzt.

Diplom Oecotrophologin, Freie Wissenschaftsjournalistin, neugierig, kritisch, undogmatisch

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