siehe auch Demenz? Nebenwirkung? Oder Wassermangel?
von Ulrike Gonder
Zugegeben, die Idee, mit einer bestimmten Ernährungsform gegen Alzheimer oder andere Demenzen angehen zu wollen, klingt irgendwie abgedreht. Schließlich werden Jahr für Jahr Abermillionen Euro in die Forschung gesteckt, bislang ohne nennenswerten Erfolg. Im Gegenteil: Alle paar Monate melden Pharmafirmen, dass sie diesen oder jenen zunächst vielversprechenden Ansatz zur Bekämpfung oder Behandlung der gefürchteten Hirnerkrankungen aufgeben müssen.
So scheiterten bislang alle Versuche, die Krankheit aufzuhalten, indem man die Bildung der für die Alzheimer-Demenz typischen Eiweißablagerungen im Gehirn (sog. Amyloid-Plaques) medikamentös zu verhindern suchte. Selbst wenn es gelang, einmal gebildete Plaques wieder aufzulösen, hatte dies keinen oder sogar einen ungünstigen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit. Mit diesen Ansätzen ist man offensichtlich auf dem Holzweg. Auch die Tatsache, dass es alte Menschen mit vielen Plaques gibt, die keinerlei Anzeichen einer Demenz zeigen, offenbart, wie es um das Verständnis der – zugegebenermaßen komplexen – Vorgänge in alternden Hirnen steht. Und so mag es kaum verwundern, dass noch immer keine Medizin existiert, die Alzheimer heilen kann.
In Sachen Vorbeugung sieht es nicht viel besser aus: Vereinzelte Studien fanden, dass der regelmäßige Konsum von Fisch oder Gemüse das Vergessen hinausschieben kann. Allerdings erwiesen sich bislang keine einzelnen Nährstoffe eindeutig als schützend, eher scheint eine insgesamt gute, nahrhafte Kost wie auch regelmäßige körperliche Bewegung zum Gesundbleiben beizutragen. Auch zum Thema „Gehirnjogging“ ist die Datenlage noch unklar. Zwar halfen Übungen zur geistigen Fitness, die jeweils trainierten Fähigkeiten zu erhalten. Es ist jedoch nicht klar, ob das auch tatsächlich vor Demenz schützt.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des demografischen Wandels ist es verständlich, dass die Menschen sich davor fürchten, dement zu werden. Wir schauen sogar kollektiv weg, wie die Journalistin Charlotte Frank in ihrem Kommentar zur Biografie des an Alzheimer erkrankten Fußballmanagers Rudi Asshauer anmerkte. Die Situation vieler Patienten und ihrer oft völlig überforderten Angehörigen sei für ein ansonsten überversorgtes Land wie Deutschland empörend. Aber niemand empöre sich. Weil Alzheimer längst zu einem Synonym für die Urangst vor dem Verlust des eigenen Ichs geworden sei. Deswegen sehen wir weg, obwohl die Demenzen mit mehr als einer Million betroffenen Menschen längst im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen sein müssten.
Was also kann man tun, um sein Hirn vor dem Verfall zu schützen? Da wären einmal so naheliegende Maßnahmen wie der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum, Rauchen und andere Drogen, der Schutz vor Kopfverletzungen, Schwermetallvergiftungen und Infektionen sowie Umsicht beim Gebrauch von Medikamenten. Auch Herz- und Gefäßerkrankungen wie Bluthochdruck, Schlaganfälle und Arteriosklerose sowie Diabetes mellitus können demenzielle Erkrankungen fördern. Daher ist deren Verhütung und eine wirksame Behandlung ebenfalls wichtig im Kampf gegen kognitive Einbußen. Die beiden amerikanischen Alzheimerforscher Rudolph Tanzi und Ann Parson brachten es so auf den Punkt: „Was gut für das Herz ist, ist auch gut fürs Gehirn.“
Und hier kommt – neben der körperlichen Aktivität – auch wieder die Ernährung ins Spiel. Wissenschaftlern fiel schon länger auf, dass bereits relativ früh im Krankheitsverlauf der Zuckerstoffwechsel des Körpers gestört ist. Bei der heute üblichen kohlenhydratreichen Kost verbrennt das Gehirn nahezu ausschließlich Zucker zur Energiegewinnung. Störungen im Zuckerstoffwechsel können daher zu Engpässen in der Energieversorgung führen. Da die grauen Zellen kaum Brennstoffreserven haben, führt ein Mangel an Energieträgern bald zu Funktionseinbußen. Durchblutungsstörungen, etwa aufgrund von Gefäßverengungen oder kleinen Schlaganfällen können die Situation verschärfen.
Um das Gehirn funktionstüchtig zu halten, wäre daher ein alternativer Brennstoff gut. Den gibt es nicht nur, die Leber kann ihn sogar selbst herstellen. Dazu braucht sie jedoch Fett. Aus den darin enthaltenen Fettsäuren bastelt sie so genannte Ketonkörper oder Ketone und gibt sie ans Blut ab. Außer der Leber selbst und den roten Blutkörperchen können alle Körperzellen Ketone zur Energiegewinnung nutzen, auch das Gehirn. Nachdem die Ketone lange Zeit als eher unerwünschte Nebenprodukte des Hungerstoffwechsels angesehen wurden, haben Forschungen der letzten Jahre gezeigt, dass man ihnen damit Unrecht tat. Denn Ketone sind besonders effiziente Treibstoffe und sie „verbrennen“ im Gegensatz zu Zucker praktisch rückstandsfrei. Auch benötigt ihre Verwertung weniger Sauerstoff, sodass sie selbst bei Sauerstoffmangel noch gute Dienste leisten. Außerdem sind sie in der Lage, die empfindlichen Hirnzellen vor allerlei schädlichen Einflüssen wie etwa Entzündungen und aggressiven freien Radikale zu schützen, die als Mitursache der Alzheimer-Krankheit gelten.
Damit erweisen sich die Ketone als idealer Brennstoff für Hirnzellen, sowohl für Gesunde als auch bei bereits eingeschränkter Hirnfunktion. Doch wie kommt man an sie ran? Eine Möglichkeit wäre zu hungern, denn im Hungerstoffwechsel fabriziert die Leber aus dem abgebauten Körperfett Ketone, um das Gehirn mit Energie zu versorgen. Die Umstellung dauert jedoch einige Tage – und es versteht sich von selbst, dass dies langfristig kein gangbarer Weg ist. Es gibt jedoch zwei weitere, alltagstauglichere Möglichkeiten, das Denkorgan mit Ketonen zu versorgen: Kokosöl und eine ketogene Diät.
Kokosöl enthält von Natur aus besonders viele gesättigte, mittelkettige Fettsäuren. Sie werden von der Leber bevorzugt in Ketone umgewandelt, auch wenn gerade keine Nahrungsknappheit herrscht. In ersten Tests genügte die einmalige Gabe von 40 g solcher Fette, um innerhalb von zwei Stunden den Ketonspiegel im Blut von Patienten mit milder bis moderater Demenz messbar zu erhöhen. Und: Je mehr Ketone die Probanden im Blut hatten, umso besser schnitten sie in einem Test ihrer kognitiven Fähigkeiten ab.
Als die amerikanische Ärztin Mary Newport über diese Daten stolperte, fasste sie neuen Mut. Ihr Mann war erst Anfang 50, als er an Demenz erkrankte. Da sich sein Zustand trotz der verordneten Medikamente verschlechterte, suchte sie verzweifelt nach weiteren Behandlungsoptionen. Bei ihren Recherchen stieß sie ebenfalls auf Kokosöl und seine speziellen Bestandteile. Wir hatten nichts zu verlieren, schreibt Newport in ihrem kürzlich auf Deutsch erschienen Buch „Alzheimer vorbeugen und behandeln“, in dem sie unter anderem die verblüffenden Verbesserungen beschreibt, die der tägliche Verzehr von 35 bis 70 g Kokosöl bei ihrem Mann bewirkte. Inzwischen setzt sich die Ärztin vehement, jedoch ohne Wunder zu versprechen, für die Verbreitung der Erkenntnis ein, dass Kokosöl und die daraus gebildeten Ketone äußerst wertvolle Hilfen zur Behandlung und wahrscheinlich auch Vorbeugung von Demenzerkrankungen darstellen.
Auch der amerikanische Ernährungsspezialist Bruce Fife aus Colorado Springs empfiehlt den regelmäßigen Verzehr von drei bis fünf Esslöffeln Kokosöl täglich, um eine gleichmäßige Versorgung des Gehirns mit Ketonen sicherzustellen. Allerdings geht er noch einen Schritt weiter: Zusätzlich rät er zu einer ketogenen Ernährung, zumindest für Menschen, deren Zuckerstoffwechsel bereits Auffälligkeiten zeigt. Bei einer ketogenen Kost bildet die Leber kontinuierlich Ketone. Es ist wie im Hungerstoffwechsel, nur dass die dafür nötigen Fette nicht (ausschließlich) aus den körpereigenen Depots stammen, sondern gegessen werden. Um die Leber zur dauerhaften Ketonbildung anzuregen, müssen im Gegenzug jedoch die Kohlenhydrate drastisch reduziert werden. Je nach individueller Empfindlichkeit gelingt dies meist zwischen 25 und 50, manchmal auch bei 100 g Kohlenhydraten täglich.
Das ist nur ein Bruchteil der rund 250 bis 300 g Kohlenhydrate, die üblicherweise verzehrt werden. Eine ketogene Ernährung erfordert daher einiges an Selbstdisziplin. Doch Bruce Fife findet in seinem Buch „Stopp Alzheimer!“, in dem er sehr detailliert die möglichen Ursachen sowie Vermeidungsoptionen von Hirnfunktionsstörungen erläutert, klare Worte für seine Leser: „Sie werden einige schwierige Entscheidungen treffen müssen. Möchten Sie Pizza, oder möchten Sie eine Demenz? Es ist ihre Wahl.“
Auch wenn sich sicher nicht viele Wissenschaftler derart plakativ ausdrücken würden: Immer mehr Forschungsaktivitäten deuten tatsächlich in Richtung Kohlenhydrate und entgleistem Insulinstoffwechsel, wenn es um die Entstehung von Hirnfunktionsstörungen geht. „Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis“, so der Psychologe Manfred Hallschmid von der Abteilung für Neuroendokrinologie der Universität Lübeck, „lässt der Insulintransport ins Gehirn bei starkem Übergewicht, Typ-2-Diabetes und der Alzheimer-Demenz nach. Das Insulin, das durchkommt, wirkt außerdem nicht im selben Maße wie im gesunden Organismus, weil die Insulin-Signalverarbeitung in den Hirnzellen gestört ist.“
Mit steigenden Insulinspiegeln im Blut gelangt also immer weniger Insulin ins Gehirn, wo es zudem nicht mehr richtig wirkt; man spricht von Insulinresistenz. Dies führt neben vielen anderen Problemen auch zur Anhäufung der für Alzheimer typischen Amyloid-Ablagerungen. Während Hallschmid und seine Kollegen dieses Problem mit inhalierbarem Insulin umgehen möchten, das via Lunge ins Gehirn gelangt, schlagen andere Forscher schlicht vor, weniger blutzuckerwirksame Kohlenhydrate und dafür mehr Eiweiß, Ballaststoffe und vor allem mehr Fette zu essen.
Für Samuel Henderson von der Universität von Colorado sind die durch eine zu hohe Kohlenhydratzufuhr ausgelösten Veränderungen im Insulin- und Fettstoffwechsel der schädlichste Einfluss der heute üblichen Kost. Er ist davon überzeugt, dass eine kohlenhydratreiche, fettarme Ernährung zu einer immensen Ausbreitung der Alzheimer-Erkrankungen führen wird. Ähnlich sieht das auch Stephanie Seneff vom renommierten Massachusetts Institute of Technology. Weniger Kohlenhydrate und zugleich mehr Omega-3- und andere Fette zu essen, ist auch nach ihrer Einschätzung die einfachste Möglichkeit, sich vor degenerativen Erkrankungen des Gehirns zu schützen. Tatsächlich mehren sich die Hinweise, dass eine Ernährung mit mehr (ketonbildenden) Fetten und weniger Kohlenhydraten nicht nur präventiv, sondern auch therapeutisch nützlich sein könnte – und das nicht nur bei Alzheimer, sondern auch bei ererbten Stoffwechseldefekten oder bei bestimmten Enzymdefekten. Die nervenschützenden Effekte der Ketone werden derzeit nicht nur bei Dementen, sondern auch bei Morbus Parkinson und Amyotropher Lateralsklerose, einer Art Muskelschwund getestet. Zur Behandlung der Epilepsie sind Ketone und kohlenhydratarme Kostformen schon seit fast 100 Jahren bewährt.
Noch kann die Wissenschaft nicht definitiv sagen, ob und welche Lebensmittel, Nährstoffe oder Kostformen den geistigen und körperlichen Verfall aufhalten können. Dazu liegen einfach noch zu wenige Studien am Menschen vor. Doch was kann es schaden, die Kohlenhydrate zu reduzieren, mehr frische Lebensmittel, mehr Gemüse, mehr Kokosfett und Fisch zu essen? Zumal sich damit auch Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Übergewicht wirkungsvoll und wohlschmeckend behandeln lassen.
(ca. 25 g Kohlenhydrate)
Frühstück:
Omelett aus 2 Eiern, 30 g Käse, ½ Tasse Champignons, Schinken und Schnittlauch, gebraten in 1 EL Kokosöl.
Mittagessen:
Gemischter Blattsalat mit ½ Tasse Karottenstreifen, ¼ Tasse gewürfelter Paprika, ½ Tomate, ¼ Avocado, ½ Tasse Kohl, Hähnchenfleisch, 1 EL Sonnenblumenkernen und zuckerfreiem Essig-Öl-Dressing.
Abendessen:
Schweinekotelett mit gekochtem Spargel und Blumenkohl, dazu Butter oder Kokosöl und 30 g Käse.
erschienen in gekürzter Fassung in der Saarbrücker Zeitung am 28.9.2012