Letzte Woche überschlugen sich mal wieder die Meldungen: „Bestätigt: Rotes Fleisch erhöht das Darmkrebsrisiko“ titelte der Nachrichtendienst wissenschaft.de im Internet, „Fleischkonsum steigert Darmkrebsrisiko“ sekundierten die Kollegen von presetext.de, und das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DifE) ließ aus Potsdam verlauten, „Fleisch steigert ... das Darmkrebsrisiko“. Das Bedauerliche an all diesen Meldungen ist nicht nur, dass sie schlicht falsch sind. Die Wortwahl der Autoren der Originalstudie legt zudem den Verdacht nahe, dass man die falschen Schlagzeilen bewusst provoziert hat.
Ausgangspunkt der Meldungen ist eine Veröffentlichung aus der EPIC-Studie im Journal of the National Cancer Institute. EPIC ist die größte bislang durchgeführte vorausschauende Beobachtungsstudie in Europa (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) mit rund einer halben Million Teilnehmer. Die betreffende Publikation befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Darmkrebs (Dick- und Enddarm) und dem Verzehr von Fleisch, Wurst, Fisch und Geflügel.
Während mit steigendem Fischkonsum das Darmkrebsrisiko sank, fand man keinerlei Zusammenhang zum Geflügelverzehr. Der Verzehr von „rotem“ Fleisch, worunter Rind, Schwein, Kalb- und Lammfleisch verstanden werden, ging mit einem Trend zu höheren Darmkrebsrisiken einher, die jedoch zu keinem Zeitpunkt signifikant waren. Damit kann es sich um ein Zufallsergebnis handeln, und es gilt eben nicht als wissenschaftlich erwiesen, dass „rotes“ Fleisch das Risiko für Darmtumoren erhöht. Auch ging weder der Verzehr von Schweine-, Rind-, Kalb- noch Lammfleisch mit einem signifikant erhöhten Risiko einher.
Anders bei verarbeitetem Fleisch, also Schinken, Wurst und Pasteten: Hier war beim höchsten Verzehr (ab 80 Gramm täglich) das Darmkrebsrisiko signifikant erhöht.
Doch mit diesen Ergebnissen war man offenbar nicht zufrieden, denn nun wurden Fleisch, Schinken und Würste in einen Topf geworfen. Damit hatte man aber immer noch kein signifikantes Risiko für „rotes“ Fleisch herausrechnen können. Also folgte der nächste Trick: Man errechnete nun noch das Risiko für einen hypothetischen Mehr-Verzehr von 100 Gramm „rotem“ Fleisch täglich – und fand immer noch kein signifkant erhöhtes Risiko. Dass selbst die „wissenschaftlichen“ Presseagenturen daraus die Meldung strickten, 100 Gramm Fleisch oder Wurst würden Darmkrebs fördern, spricht nicht eben für die Qualität der Berichterstattung.
Erst als man den Fleisch- und Wurstverzehr zusammenlegte und das Risiko für einen hypothetischen Mehr-Verzehr von 100 Gramm täglich errechnete, wurden die Ergebnisse signifikant. Da drängt sich irgendwie der Begriff Datenmassage auf.
Was in keiner Meldung Platz fand war die Beobachtung der EPIC-Studie, dass selbst der höchste Konsum von „rotem“ Fleisch und Wurst (über 160 Gramm) das Darmkrebsrisiko nicht erhöhte, sofern auch viel Fisch (über 50 Gramm) oder Ballaststoffe (17-28 Gramm) verzehrt wurden. An der Wurst alleine kann es schon deshalb nicht liegen.
Zudem wird der Gemüse- und Salatkonsum der Teilnehmer mit keinem Wort erwähnt. Dabei wäre es sehr interessant zu erfahren, ob sagen wie ein Spanier, der viel Fleisch aber auch viel Gemüse (und Fisch) isst, ein geringeres Darmkrebsrisiko hat als etwa ein Brite, der zu seinem Fleisch eher Pommes verzehrt.
Der einzige Lichtblick in dieser ganzen Darmkrebs-Fleisch-Kakophonie fand sich bei wissenschaft.de, wo man darauf hinwies, dass das absolute Risiko für 50-Jährige, in den nächsten 10 Jahren an Darmkrebs zu erkranken, gering ist. Es lag selbst in der Gruppe mit dem höchsten „Rotfleischundwurstkonsum“ bei 1,7 Prozent. Bei geringem Fischkonsum liegt es übrigens bei 1,9 Prozent, und es sinkt auf 1,3 Prozent beim höchsten Fischverzehr – unabhängig von den vertilgten Fleisch- und Wurstmengen.
Mir persönlich ist es egal, ob jemand Fleisch und Wurst isst oder nicht, das muss jeder selber wissen. Ich finde es aber unerhört, wenn man Menschen Angst vor beliebten Grundnahrungsmitteln macht, noch dazu unbegründet. Mithilfe der missverständlichen Formulierungen in der Studie konnten Schlagzeilen in der Presse generiert werden, die die Ergebnisse der EPIC-Studie klar missbrauchen. Die EPIC-Studie birgt aufgrund ihrer Größe ein enormes Potenzial zur Aufklärung der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebs. Daher sollten die Wissenschaftler ihre Daten sauber und ohne Rücksichtnahme auf persönliche Voreingenommenheiten aufarbeiten und die daraus abzuleitenden Botschaften klar formulieren. Ansonsten verkommt EPIC zu einer Steuerverschwendungsmaßnahme, die keinem Verbaucher nützt und die die ohnehin weit verbreitete Angst vor dem Essen weiter schürt.
Mein Leserbrief zu diesem Thema wurde vom Journal of the National Cancer Institute angenommen und im Dezember 2005 abgedruckt.