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Schwere Erkrankungen wie Krebs mit einer Diät behandeln zu wollen, mag für viele etwas abseitig klingen. Wozu auch, es gibt ja eine Fülle wirksamer Medikamente und anderer Therapien. Das ist auch der Grund, warum diätetische Maßnahmen oft unbeliebt sind: Sie erfordern viel mehr Anstrengung, Planung und Disziplin als das „Einwerfen“ einer Pille. Doch was, wenn Medikamente nicht helfen? Oder zu viele Nebenwirkungen haben? Diese Frage muss sich beispielsweise jeder Dritte der 800.000 Epileptiker in Deutschland stellen. Bei 30 bis 35 Prozent der Erkrankten hilft keines der vorhandenen Medikamente. Oder die Nebenwirkungen sind nicht zumutbar, etwa bei Kleinkindern.
So erging es auch Charlie Abrahams, einem amerikanischen Jungen, der im ersten Lebensjahr an Epilepsie erkrankt war und seither ständig unter Krampfanfällen zu leiden hatte. Da ihm weder eine Operation noch unzählige Medikamente geholfen hatten, suchten die Eltern verzweifelt nach Alternativen und stießen auf die ketogene Diät. Sie war Anfang der zwanziger Jahre in den USA entwickelt worden, als es kaum Medikamente gegen epileptische Anfälle gab. Als die ersten wirksamen Medikamente auf den Markt kamen, geriet die Diät in Vergessenheit. Doch Charlies Vater machte sie wieder bekannt. Denn Charlie, dem bislang keiner helfen konnte, wurde durch die ketogene Diät dauerhaft anfallsfrei.
Dieses Glück haben nicht alle, die sich so ernähren, doch die Erfolge dieser „alten“ Diät können sich durchaus sehen lassen. Wie mehrere Studien zeigen konnten, kommt es bei 30 bis 80 Prozent der Probanden unter einer ketogenen Ernährung zu einem mindestens 50-prozentigen Rückgang der Anfälle.
Die Diät ist also eine große Chance. Sie ist aber auch eine Herausforderung, denn sie ist nicht für alle geeignet und kann ebenfalls Nebenwirkungen entfalten. Zudem handelt es sich um eine extreme Variante der ketogenen Ernährung: Rund 90 Prozent der täglich verzehrten Kalorien müssen aus Fett stammen, 7 bis 8 Prozent aus Eiweiß und nur 3 bis 4 Prozent aus Kohlenhydraten. Und: Sie muss individuell und exakt berechnet und äußerst konsequent eingehalten werden – eine große Aufgabe für Eltern und Kinder. Der Lohn der vielen Mühe: sie wirkt.
Das Fett wird von der Leber zu den so genannten Ketonkörpern umgebaut, die der Diät ihren Namen gaben. Sie dienen anstelle von Zucker der Energieversorgung der Körperzellen und des Gehirns. Wird das Gehirn mit Ketonkörpern anstelle des üblichen Blutzuckers „ernährt“, neigt es weniger zu Anfällen. Keiner weiß genau warum, es funktioniert aber. Übrigens gibt es auch für Migränepatienten ernstzunehmende Hinweise darauf, dass eine entsprechende Ernährungsumstellung (weniger Kohlenhydrate, mehr Fett) zum Rückgang der Anfälle führen kann. Bei ihnen muss die Diät nicht einmal so radikal sein wie bei Epileptikern.
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erschienen in der Saarbrücker Zeitung am 6./7.6.2007