Ernährung & Gesundheit
kontrovers

News - 10.11.2011

Über die Mär von der Mär über Glutamat

Ein Kommentar von Prof. Dr. Micheal Hermanussen, Aschauhof

Leute, fresst Scheiße, 5 Millionen Fliegen können nicht irren, hieß es in einem alten Kinderwitz. Können sich 300 Millionen Menschen wirklich irren? schreibt Lajos Schöne auf welt online und befindet sich damit in bester Gesellschaft, denn – und das ist durchaus korrekt – Menschen in Thailand, Vietnam, Japan und China … würzen und genießen ihr köstliches Essen täglich mit glutamathaltigen Soßen.

Aber es ist einfach erschütternd und es macht sprachlos zu sehen, mit welch fantastischer Hartnäckigkeit die Geschmacksverstärkung unserer Lebensmittelchemie beworben wird. Alte Weisheiten wie Glutamat steckt in den gesündesten Lebensmitteln und besonders reich an Glutamat ist übrigens das gesündeste Lebensmittel der Welt und die erste Mahlzeit des Menschen, nämlich die Muttermilch werden mit illustren Namen vermengt eine Konsensuskonferenz … unter Federführung des Heidelberger Molekularbiologen und Nobelpreisträger Professor Dr. Konrad Beyreuther …. Dazu kommen bruchstückhaft-wissenschaftliche Informationen: interessanterweise benutzen die Nervenfasern, die Riech- und Geschmackempfindungen zum so genannten Mandelkern („Amygdala“) im Gehirn transportieren, den Botenstoff Glutamat als Botenstoff – Glutamat ist der wichtigste erregende Neurotransmitter unseres Zentralnervensystems und nicht nur im Mandelkern aktiv – und einige herausgepickte korrekte Informationen wie in 100 Gramm Parmesankäse sind 1206 Milligramm freies Glutamat enthalten.

Muss man solchen Argumenten Glauben schenken?

Die genannte Expertengruppe publizierte in dem von Herrn Schöne zitierten Konsenspapier von 2007 eine Reihe von peinlichen Tippfehlern zur Dosierung. Dort heißt es a maximum (GLU) intake of 16.000 (sixteen dot triple zero) mg/kg body weight is regarded safe. Übersetzt: eine maximale Aufnahme von 16 Gramm Glutamat pro Kilogramm Körpergewicht ist als sicher anzusehen. Mit anderen Worten, mit meinen 82 kg Körpergewicht darf ich gefahrlos 1,3 Kilo Glutamat pro Tag verzehren. Das wundert, zumal die Autoren im selben Papier etwas weiter unten schreiben, dass the oral dose that is lethal to 50% of subjects (LD50) in rats and mice is 15000-18000 mg/kg bw, respectively. Übersetzt: dass die orale (mit der Nahrung aufgenommene), für die Hälfte der Ratten und Mäuse tödliche Dosis 15 bis 18 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht beträgt. Das entspricht der von Experten empfohlenen Tagesdosis (1).

Auch „das gesündeste Lebensmittel der Welt“ ist nicht für jedermann gleich gesund. Ich denke nicht, dass Herr Schöne mit einer Diät glücklich wäre, die es ihm – wie einem gesunden Neugeborenen – ermöglicht sein Ausgangsgewicht in 6 Monaten zu verdoppeln.

Bilder sind oft eindringlicher als viele Worte. Schauen Sie sich die Aminosäurespektren einer „nach Großmutters Art“ zubereiteten (oberes Bild) und einer von Knorr produzierten (unteres Bild) Hühnersuppe an. Jede Zacke entspricht dem Gehalt an einer Aminosäure. Sie sehen die Unterschiede, ein buntes natürliches Gemisch von Aminosäure in Großmutters Suppe, und eine von Geschmacksverstärker dominierte Knorr Supp. Glutamat ist der prominente Ausschlag (GLU) in der Knorr-Suppe. Und Sie sehen, es geht um mehr: im Fertiggericht ist nicht einmal Hühnerfleisch enthalten (Fleisch erkennt man an der kleinen CARN/ANS Zacke auf der rechten Seite des Spektrums– sie fehlt bei Knorr). Zwei Prozent Hühnerfett rechtfertigen den Namen Hühner-Suppe (2).

Aminosäurespektrum selbst gemachte Hühnersuppe


 

Aminosäurespektrum Fertigsuppe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ulrike Gonder und ich haben vor gut 2 Jahren versucht, ein wenig Licht in das Dickicht um die Geschmacksverstärkung zu werfen und ein Büchlein für Jedermann geschrieben, der sich für dieses Thema interessiert und wissen möchte, was dazu wissenschaftlich gesagt wurde (3). Es gibt sehr viel Literatur, und das Thema ist nicht so einfach, wie Herr Schöne es uns glauben machen will. Das Büchlein würde ich auch Herrn Schöne gern ans Herz legen, sofern ihn die Thematik tatsächlich beschäftigt.

 

1. Hermanussen M. No consensus on glutamate. Eur J Clin Nutr 2008; 62:1252-3.

2. Hermanussen M, Gonder U, Stegemann D, Wesolowski M, Wartensleben H, Hoffmann GF. How much chicken is food ? Questioning the definition of food by analyzing amino acid composition of modern convenience products. Anthropologischer Anzeiger 2011 (fast track)Titelbild Glutamatbuch

3. Hermanussen M, Gonder U. Der Gefräßigmacher, Hirzel-Verlag, 3. Auflage 2011