Mit einem leisen Seufzer schiebt die alte Dame ihren Teller von sich. Sie ist satt, obwohl sie kaum etwas vom Mittagessen angerührt hat. Es schmeckt ihr einfach nicht mehr, nicht mehr so wie früher. Sie weiß, dass ihre Tochter sich Mühe gegeben hat, dennoch empfindet sie das Essen als fade und eintönig. Fades und Eintöniges mag aber niemand gerne essen. Was sich Übergewichtige möglicherweise manchmal wünschen ist keineswegs ein erstrebenswerter Zustand: Wenn das Essen nicht mehr schmeckt, sinkt nicht nur der Appetit und die Freude am Essen, sondern auch die Lebensqualität. Irgendwann leidet dann auch die Gesundheit, insbesondere bei älteren Menschen, denn mit zunehmendem Alter wird eine gute Ernährung immer entscheidender dafür, ob jemand körperlich und geistig gesund bleibt. Besonders fatal: Kommt es zu Ernährungsdefiziten, kann das die Sinnesempfindungen weiter verschlechtern.
Nach Angaben der Geruchs- und Geschmacksforscher des amerikanischen Monell Chemical Senses Center in Philadelphia sind rund ein Drittel der älteren Menschen mit ihrem Geruchs- oder Geschmackssinn unzufrieden. Allerdings kann es bereits ab dem vierten Lebensjahrzehnt zu Einschränkungen kommen. Warum die Geschmackswahrnehmung im Alter nachlässt, ist nicht exakt bekannt. Vermutlich gehen viele Faktoren Hand in Hand: Armut, Einsamkeit und Krankheiten spielen eine Rolle und dämpfen den Appetit. Eine Reihe von Medikamenten kann im wahrsten Sinn des Wortes auf den Magen schlagen und zudem dafür sorgen, dass die Spucke wegbleibt. Beides bremst den Essgenuss ungemein. Behindern die Arzneien zusätzlich die Verwertung der Nährstoffe aus dem Essen, steigt das Risiko einer Mangelernährung weiter an.
Aufgrund körperlicher Veränderungen sind betagte Menschen zudem schneller satt. Fehlende Zähne und schlecht sitzende Prothesen tun ein Übriges, um die Freude am Essen zu senken und die Auswahl an genießbaren, nährstoffreichen Lebensmitteln immer weiter einzuschränken. Ob das im Alter veränderte Geschmacks- und Geruchsvermögen am Anfang steht oder eine Folge dieser Veränderungen ist, sei dahingestellt, es spielt jedenfalls eine Hauptrolle und ist eng mit dem Ernährungsstatus verknüpft. Verschlechtert sich die Ernährungssituation bei Senioren, ist das gesamt Spektrum der Nährstoffe betroffen: Es kommt sowohl zu Mängeln in der Versorgung mit Eiweiß und Kalorien als auch zu Vitamin- und Mineralstoffmängeln. In deren Folge lauern Immun- und Muskelschwäche, Osteoporose und Blutarmut (Anämie), verminderte Wundheilung und ein beschleunigter geistiger Abbau. Mängel bei den Nährstoffen Zink, Vitamin A und essenziellen Fettsäuren lassen zudem die Sinnesempfindungen, das Hören, Sehen, Riechen und Schmecken, weiter abstumpfen, und spätestens hier beginnt ein schwer zu durchbrechender Teufelskreis.
Auch eine zweite Gruppe von Menschen hat keinen richtigen Spaß am Essen: die so genannten Anosmatiker, Menschen, die nicht oder nur sehr eingeschränkt riechen können. Bei einem Test unter 1.300 zufällig ausgewählten Dortmunder Bürgern fanden Wissenschaftler der Universität Dresden (1), dass knapp vier Prozent gar nichts und 18 Prozent nur eingeschränkt riechen konnten. Wer etwa aufgrund eines Unfalls seinen Geruchssinn verliert, dem schmeckt auch das Essen nicht mehr richtig. Zwar können die einfachen Geschmackseindrücke wie süß, sauer oder salzig, die von der Zunge kommen, noch wahrgenommen werden. Darüber hinaus rufen Kekse aber nur noch den Eindruck „krümelig“ hervor und alle Tees schmecken wie warmes Wasser. Differenzierte Aromen und Geschmacksvielfalt kommen einfach nicht mehr vor. Mit dem Verlust des Geruchssinnes kommt den Betroffenen rund ein Drittel ihrer Sinneseindrücke abhanden und damit geht ein deutlicher Verlust an Lebensqualität einher. Die Blütenpracht eines Gartens bereitet keinen „richtigen“ Genuss mehr und häufig kommt die Angst hinzu, giftigen Gasen schutzlos ausgeliefert zu sein. Zudem steigt auch bei Ansomatikern die Gefahr einer Fehlernährung. Denn wenn es egal ist, ob man Apfelkompott oder Blumenkohl in den Mund steckt, wird die Nahrung leicht einseitig und damit unausgewogen.
Doch es gibt Hoffnung. Mit Hilfe eines gezielten Riechtrainings kann versucht werden, wenigstens einen Teil der Geruchswahrnehmung wieder herzustellen. Wie Forscher des Monell Instituts in Philadelphia herausfande (2), kann der Körper die für das Riechen benötigten Nervenzellen lebenslang nachbilden. Dafür und damit diese Zellen ihre Aufgabe zufrieden stellend erfüllen können, scheint neben einer insgesamt guten Ernährungssituation insbesondere eine gute Versorgung mit Vitamin A vonnöten. Das Vitamin kommt vor allem in Innereien wie Leber, in Eiern, Milch, Wurst und tierischen Fetten vor. Dazu kommen die Carotine, eine Vorstufe von Vitamin A, die wir mit pflanzlichen Lebensmitteln aufnehmen. Zwar ist die Vitamin-A-Versorgung im Bevölkerungsdurchschnitt eher überreichlich. Bei Senioren finden sich jedoch häufig niedrige Vitamin-A-Spiegel im Blut (3). Mit einem verbesserten Riechen könnte auch das Schmecken wieder neu gelernt werden. Denn das, was wir als „Geschmack“ einer Speise bezeichnen, ist eine Kombination aus vielen Geruchs- und wenigen Geschmackseindrücken.
siehe auch: Wie Geschmack entsteht - Bitter-süße Erkenntnis - Schmecken will gelernt sein - Geschmacksver(w)irrungen
(2) Monell Newsletter, Summer 2007, Healthy Eating. www.monell.org
erschienen in der Saarbrücker Zeitung 2008