Ernährung & Gesundheit
kontrovers

Wie Geschmack entsteht zurück

 

An ihnen kommt so schnell keiner vorbei: Geruchs- und Geschmackssinn fungieren bei der Nahrungsaufnahme als strenge Türsteher. Sie entscheiden, was herein darf, was wir als bekömmlich, lecker und wohlschmeckend empfinden und was als ekelhaft, unbekömmlich oder gar giftig abgelehnt wird. Der Geschmackssinn ist der einfachere von beiden. Er „denkt“ in wenigen, klaren Kategorien, die er mit Hilfe der rund 2000 Geschmacksknospen identifiziert, die auf der Zunge, vereinzelt aber auch am Gaumen und im Rachenraum zu finden sind. In jeder Knospe liegen zehn bis fünfzig Sinneszellen mit Rezeptoren für je einen der bis heute bekannten fünf Geschmäcker. Bekannt sind die Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig und bitter. Beim fünften Geschmack handelt es sich nicht etwa um scharf: Scharfstoffe reizen keine Geschmacks-, sondern Schmerzrezeptoren. Gemeint ist umami, was soviel wie köstlich bedeutet und für die brühig-fleischige Note herzhafter Gerichte steht. Beschrieben wurde umami in Japan schon vor 100 Jahren, doch stritten sich die Gelehrten darüber, ob es nun ein eigen­ständiger Geschmack oder eine Mischung aus den anderen vier Geschmackseindrücken ist. Seit 2002 ein eigenständiger Rezeptor für umami entdeckt wurde, ist klar: umami ist der fünfte Geschmack.

Reagiert der Umami-Rezeptor, weiß der Körper, dass sich ein eiweißreiches Lebensmittel wie etwa Fleisch oder reifer Käse im Mund befindet. Nun können die entsprechenden Verdauungssäfte vorbereitet werden. Analoges geschieht, wenn die anderen Rezeptoren aktiviert werden: Süß signalisiert dem Organismus, dass kalorienreiche Kohlenhydrate im Anmarsch sind – und dass die Speise kein Risiko birgt. Denn von Natur aus süße Speisen wie Muttermilch und reife Früchte sind nicht nur nahrhaft und bekömmlich, sondern auch ungiftig. Kein Wunder, dass die Vorliebe für Süßes vielen Säugetieren angeboren ist. Eine Ausnahme sind Katzen, vom Stuben- bis zum richtigen Tiger, denn sie besitzen keine Süßrezeptoren auf ihren Zungen.

Meldet die Zunge salzig, wird dem Körper die Ankunft von Mineralstoffen signalisiert. Sauer kann Unreifes oder Verdorbenes aber auch Fermentiertes anzeigen und folglich Ablehnung oder Akzeptanz hervorrufen. Eine Meldung der Bitterrezeptoren ans Gehirn dient seit Urzeiten als Warnung: Viele Gifte schmecken bitter, und so wundert es nicht, dass der Bitterrezeptor tausendmal empfindlicher reagiert als seine Kollegen. Auch die bei Kindern ausgeprägte Aversion gegen bittere Lebensmittel wird so verständlich, sie ist ebenso wie die Süßvorliebe angeboren. Kinder zum Spinatessen zu zwingen wäre ebenso unangemessen, wie ihnen Kaffee aufschwatzen zu wollen. Erst wenn der Körper positive Erfahrungen mit genießbaren bitteren Lebensmitteln gemacht hat, entsteht eine gewisse Vorliebe – deswegen schmecken das erste Bier und der erste Kaffee selten gut.

Die Informationen der Geschmacksrezeptoren werden mit Hilfe von Nervenfasern ins Gehirn geleitet, das sie zusammen mit den Informationen über die Struktur, Viskosität, Fettigkeit, Konsistenz, Temperatur, Schärfe und Farbe zu einem umfassenden Geschmackseindruck verrechnet. Und der beeinflusst wiederum unser Essverhalten. So lässt mit zunehmender Sättigung die Empfindlichkeit der Süßrezeptoren nach. Der „Schmacht“ darauf lässt nach und wir hören bald mit dem Essen auf. Umgekehrt gilt Hunger als der beste Koch, weil auch er die Geschmackspräferenzen verschiebt.

Wer gerne gut isst und genießt, wird sich fragen, wie die unendliche Fülle der Aromen mit nur fünf Geschmacksqualitäten wahrnehmbar sein soll. Die Zweifel sind angebracht – es geht nicht. Unsere Zunge versorgt uns nur mit den Grundqualitäten, das „Fein-Tuning“ erledigt die Riechschleimhaut. Und dabei geht es nicht nur um jene Düfte, die über die Nase aufgenommen werden, etwa wenn wir an der leckeren Bratensoße schnuppern. Weil Mund- und Nasenraum hinten im Rachen miteinander verbunden sind, gelangen mit jedem Bissen und mit jedem Schluck auch Hunderte von flüchtigen Substanzen via Mund in die obere Nasenmuschel. Im Alter geht vor allem die Fähigkeit zum Riechen via Mundhöhle verloren. Weil aber gerade das so genannte „retronasale“ Riechen wichtig für ein umfassendes und differenziertes Geschmackserleben ist, scheinen für Senioren viele Lebensmittel nach nichts mehr zu schmecken.

Die Riechschleimhaut der Nase ist nur wenige Quadratzentimeter groß, beherbergt jedoch bis zu Hundert Millionen Riechsinneszellen. Jede von ihnen reagiert auf einen bestimmten Duftstoff. Diese Botschaft leitet sie mit Hilfe von Nervenfasen in den Riechkolben weiter. So heißt eine Hirnregion, die aus den eingehenden Einzelsignalen komplexe „Geruchsbilder“ oder „Duftkarten“ zusammensetzt. Diese werden an jene Hirnregionen gesendet, die fürs Erkennen und Bewerten der Gerüche zuständig sind. Je nachdem, ob ein Essensduft via Nase oder durch den Mund zur Riechschleimhaut gelangt, reagiert das Hirn anders. Das zeigen Versuche mit Schokoladenduft. Kommt der Duft über die Nase, reagieren andere Hirnregionen als bei Schokoduft via Rachenraum. So registriert das Gehirn, ob eine Belohnung bevorsteht oder bereits erfolgt ist – und zwar schon bevor die Schokoladeninhaltsstoffe verdaut und im Blut angekommen sind.

Der Riechkolben ist auch mit Hirnregionen verbunden, die für Emotionen und Erinnerungen zuständig sind. Das erklärt, warum Düfte so eng mit unserer Gefühlswelt verbunden sind. Daher kann der Geruch eines Parfums so lebhafte Erinnerungen wecken, deswegen bleibt der Puddinggeschmack unserer Kindheit ein Leben lang der allerbeste und so kann das Verlangen nach einem bestimmten Geschmackserlebnis sehr heftig, ja suchtartig sein.

Rezeptoren für Düfte und Geschmack finden sich übrigens nicht nur in Mund, Nase und Rachenraum. Sogar im Darm konnten Duft-, Bitter-, Süß- und Umami-Rezeptoren dingfest gemacht werden. Noch lässt sich über deren Aufgabe nur spekulieren. Für die Duftstoffe wird diskutiert, dass sie in die Darmbewegung, in die Bildung von Verdauungssäften aber auch in die Entstehung von Übelkeit und Erbrechen eingreifen können. Bei den Geschmacksrezeptoren wird angenommen, dass sie die Ankunft der entsprechenden Nährstoffe im Darm signalisieren und deren Verdauung und Aufnahme ins Blut ebenso mitsteuern wie die Entsendung von Sättigungssignalen ans Gehirn.

Hier mischt auch die Nase wieder mit. Offenbar sind wir in der Lage, Nahrungsdefizite unbewusst zu „erschnüffeln“. Dafür sprechen Sensoren für lebensnotwendige Eiweißbausteine aus der Nahrung, die in der Riechschleimhaut von Nagetieren entdeckt wurden (1). Damit ist klar, dass Geruchseindrücke nicht nur über den Geschmack einer Speise informieren und unsere Gefühle steuern, sondern dass sie die Nahrungsaufnahme auch qualitativ beeinflussen. Hier herrscht noch erheblicher Forschungsbedarf. Hoffen wir, dass die Wissenslücken nicht von jenen geschlossen werden, die Verbraucher manipulieren und zum Mehrverzehr verführen wollen, sondern von jenen, die verstehen wollen, wie Geruch und Geschmack unser Essverhalten steuern und wie wir davon profitieren können.

 

(1) Shepherd, GM: Smell images and the flavor system in the human brain. Nature 2006/Vol.444/S.316-321

 

siehe auch: Wenn der Geschmack abhanden kommt - Bitter-süße Erkenntnis - Schmecken will gelernt sein - Geschmacksver(w)irrungen

 

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erschienen in der Saarbrücker Zeitung 2008