Ernährung & Gesundheit
kontrovers

Geschmacksver(w)irrungenzurück

 

Wie wichtig ist die Nase für eine gesunde, abwechslungs- und nährstoffreiche Ernährung? Anders gefragt: Kann man den Nährwert einer Pflanze riechen? Was auf den ersten Blick verrückt erscheinen mag, macht biologisch durchaus Sinn. Pflanzen, auch jene, die der menschlichen Nahrung dienen, bilden viele Hundert flüchtige und somit riechbare Verbindungen: Damit locken sie unter anderem Bestäuber an oder schrecken Fraßfeinde ab. Einige dieser flüchtigen Substanzen prägen entscheidend das Aroma der essbaren Pflanzenteile. Wissenschaftler der Biotechnologiefirma Syngenta stießen bei der Untersuchung von Tomaten auf einen interessanten Zusammenhang, über den sie im Wissenschaftsmagazin Science (1) berichteten. Die für das Tomatenaroma wichtigsten Duftstoffe werden alle aus Vorläufern gebildet, die dem Menschen als Nährstoff dienen oder sich als gesundheitsförderlich erwiesen haben: aus hochwertigen Fettsäuren, aus Eiweißbausteinen, aus Carotinoiden oder aus Pflanzenstoffen, die antibakteriell wirken, das Krebsgeschehen eindämmen oder vor aggressiven Stoffen schützen.

Nach Ansicht der Forscher zeigt die Pflanze mit dem Duft ihrer vollreifen Früchte an, dass hier nicht nur wichtige Nährstoffe, sondern auch gesundheitsförderliche Substanzen zu haben sind. Warum tut sie das? Sie ist auf der Suche nach einem Samenver­breiter. Ihr Lohn für den Spediteur ist das nahrhafte und gesunde Fruchtfleisch: Werden die vollreifen Früchte von einem Säugetier gefuttert, nähren sie es. Die Samen bleiben jedoch dank der glibberigen Schleimschicht, die sie umgibt, unverdaut um anderenorts unversehrt und mit einem Häufchen Dünger versehen wieder ausgeschieden zu werden. So tragen Früchte fressende Tiere zur Verbreitung vieler Pflanzen bei.

Zwar entzieht sich der Mensch in aller Regel einer solchen Speditionstätigkeit, er verbreitet und vermehrt seine Nahrungspflanzen dafür gezielt durch Züchtung und Ackerbau. Interessanterweise bleiben dabei jedoch einige Aroma- und Duftstoffe auf der Strecke. So enthalten wilde Tomaten deutlich mehr flüchtige Aromakomponenten als Kulturtomaten. Die Wissenschaftler führen dies darauf zurück, dass es in der Züchtung lange Zeit um höhere Erträge, längere Haltbarkeit und eine schöne Farbe ging, aber weniger um Aroma und Geschmack. Mit anderen Worten: Vielleicht würden wir freiwillig und liebend gerne mehr Obst und Gemüse essen, würde es unseren Sinnen mit intensiveren Düften anzeigen, dass es voller Nähr- und Wirkstoffe steckt.

Diese Kenntnisse der Pflanzen-Biologen zeigen einmal mehr, dass Geschmack, Genuss und Gesundheit nicht nur zusammen passen, sondern zusammen gehören. Wer den Geschmack manipuliert aber den Nährwert vergisst, kann böse Überraschungen erleben, wie das Beispiel der Süßstoffe zeigt: Anfang Februar titelten viele Nachrichtenagenturen mit der Frage „Machen Süßstoffe dick?“. Anlass war eine neue Studie (2) der US-amerikanischen Purdue-Universität an männlichen Ratten, die zusätzlich zum üblichen Rattenfutter entweder ungesüßten Joghurt, Joghurt mit Zucker oder mit dem Süßstoff Saccharin erhielten. Obwohl darauf geachtet wurde, dass die Tiere gleich viele Kalorien aus Joghurt bekamen, hatten jene aus der Süßstoffgruppe insgesamt am meisten Kalorien gefuttert, am stärksten zugenommen und am meisten Fett eingelagert. Die Wissenschaftler stellten auch fest, dass bei den Ratten in der Süßstoffgruppe die Körpertemperatur nach dem Fressen weniger deutlich angestiegen war als bei den Tieren, die Zucker-gesüßten Joghurt bekommen hatten. Zudem bewegten sie sich weniger. Dies könnte erklären, welche Mechanismen die stärke Gewichtszunahme und die höhere Fetteinlagerung bewirkt haben. Die Körpertemperatur steigt nach dem Essen an, weil die Verstoffwechslung der Nahrung ein intensiver Prozess ist, bei dem auch Wärme entsteht. Nach dem Konsum von Süßstoffen werden demnach weniger Kalorien verbraucht als nach Zucker. Geht dazu noch die körperliche Bewegung zurück, wird die Kalorienbilanz noch ungünstiger – wobei allerdings nicht klar ist, ob die Bewegungsfaulheit der Tiere eine Ursache oder eine Folge der veränderten Stoffwechselsituation darstellt.

Die Studie ist geeignet, vor allem in der Lebensmittelindustrie für Aufregung zu sorgen, denn zuckerreduzierte „Light“-Produkte machen einen erheblichen Teil jener „Gesundheitsprodukte“ aus, für die deutsche Verbraucher im Jahr etwa 3,2 Milliarden Euro ausgeben (3). Dazu kommt, dass auch viele „normale“ Lebensmittel von der sauren Gurke bis zum Salatdressing heute Süßstoffe enthalten. Da Süßstoffe praktisch kalorienfrei sind, glauben viele und bekommen dies von der Werbung auch suggeriert, dass sie abnehmen oder ihr Gewicht besser halten können, wenn sie anstelle von Zucker zu Süßstoffen greifen. Doch bewiesen ist das nicht, im Gegenteil. Seit langem gibt es Zweifel an der Nützlichkeit der Süßstoffe. So findet sich nur dann eine verringerte Kalorienbilanz, wenn Süßstoffe im Rahmen eines fixen Diätplanes eingesetzt werden. Bei freiem Lebensmittelverzehr neigt der menschliche Körper aber dazu, sich die „fehlenden“ Zuckerkalorien woanders zu holen. Und so wundert es nicht, dass auch andere Studien zu dem Schluss kamen, dass Süßstoff anstelle von Zucker die Kalorienzufuhr und die Fettbildung nicht automatisch senkt, sondern sogar erhöhen kann (4).

Wie das kommt? Süßer Geschmack hat einen Sinn. Er zeigt dem Körper an, dass nun bald Zucker ins Blut strömt und dass Energie hereinkommt. Wird diese Verknüpfung durch Süßstoffe gestört, folgen also dem süßen Geschmack keine Kalorien, gerät die Steuerung der Kalorienaufnahme aus den Fugen, wie die neue Rattenstudie zeigt. Zwar lassen sich ihre Ergebnisse nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. Die Tatsache aber, dass Ratten normalerweise eine extrem gute Appetitsteuerung haben, sollte uns zu denken geben. Geschmack und Nährwert hängen in der Natur eng zusammen und auf dieser Basis hat sich wohl auch der menschliche Appetit entwickelt. Wer am Geschmack manipuliert, aber den Nährwert vernachlässigt, riskiert nachteilige Folgen für die Verbraucher. Da dies auch für fettreduzierte Produkte zu erwarten ist, könnte es sein, dass uns gerade die als besonders figurfreundlich, weil fett- und zuckerarm hergestellten Fertigmenüs und -produkte allmählich immer dicker werden lassen. Höchste Zeit also, diese Zusammenhänge auch beim Menschen genauer zu erforschen.

 


(1) Goff, SA & Klee, HJ: Plant volatile compounds: sensory cues for health and nutritional value. Science 2006, 10. Feb, Vol. 311, S. 815-819

(2) Swithers, SE & Davidson, TL: A role for sweet taste: calorie predictive relations in energy regulation by rats. Behavioral Neuroscience 2008/Vol.122, Nr. 1 doi: 10.1037/0735-7044.00.0.000

(3) Berechnungen der GfK, zitiert nach aid-Pressemeldung vom 13.2.2008

(4) Übersicht bei: Benton, D: Can artificial sweeteners help control body weight and prevent obesity? Nutrition Research Reviews 2005/Vol.18/S.63-76

 

siehe auch: Wenn der Geschmack abhanden kommt - Wie Geschmack entsteht - Bitter-süße Erkenntnis - Schmecken will gelernt sein

 

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erschienen in der Saarbrücker Zeitung 2008