Schmecken muss sogar gelernt werden, denn neben der biologischen Grundausstattung in Form von Rezeptorzellen und Nervenbahnen, braucht das Geschmacks- vor allem aber das Geruchssystem Training, um optimal zu funktionieren. Daher beginnt das Schmecken-Lernen bereits im Mutterleib. Das Ungeborene schluckt mit dem Fruchtwasser auch Geschmacks- und Aromastoffe aus dem Essen der werdenden Mutter. So sammelt es erste Erfahrungen und wird auf seinen späteren Lebensraum und die typischen Speisen seines Kulturkreises vorbereitet.
Den zweiten Kick bekommt das kindliche Geschmackstuning beim Stillen. Denn auch mit der Muttermilch gelangen Geschmacks- und Aromastoffe zum Kind. Daher akzeptieren gestillte Kinder neue Speisen leichter, wenn diese von der Mutter während der Stillzeit regelmäßig gegessen wurden (1). Es schmeckt ihnen, weil sie die neuen Geschmäcker bereits kennen und weil die entsprechenden Speisen offenbar gesund und nahrhaft sind, sonst hätte sie die Mutter ja nicht verzehrt.
Oft hat es den Anschein, Kleinkinder kämen mit einer „Gemüsephobie“ zur Welt. Doch wenn die Mutter kein Grünzeug isst, nicht stillt und dem Kind nicht früh und immer wieder Gemüse anbietet, ist seine Abneigung kein Wunder, sondern biologisch nachvollziehbar. Mit anderen Worten: Mütter, die wollen, dass ihre Kinder regelmäßig und gerne Gemüse, Obst oder was auch immer essen, sollten es selber tun.
Hier zeigt sich einmal mehr das Risiko einer Geschmacksmanipulation. Wären für Muttermilchersatznahrungen alle möglichen Aromen und Geschmacksstoffe erlaubt, könnten sich die Hersteller die nächste Generation ihrer Kundschaft bequem durch frühkindliche „Futterprägung“ heranziehen und von der Wiege bis zur Bahre an sich binden. Keine angenehme Vorstellung – und ein weiteres Argument dafür, frischen Grundnahrungsmitteln und echten Gewürzen den Vorzug zu geben.
siehe auch: Wenn der Geschmack abhanden kommt - Wie Geschmack entsteht - Bitter-süße Erkenntnis - Geschmacksver(w)irrungen
erschienen in der Saarbrücker Zeitung 2008